Wissenswertes über Nockenwellen
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Anmerkung für Internet: Die Haarliniendiagramme werden evtl. nicht exakt auf Ihrem Bildschirm angezeigt. Die Ausdrucke auf dem Drucker sind jedoch in Anbetracht der kleinen Dateigrößen in Ordnung. Ausdruck: 7 Seiten DinA4

Zum Thema Ventiltrieb von Verbrennungsmotoren gibt es in unseren Universitätsbibliotheken eine Fülle von Literatur. Es gibt umfangreiche Werke über Optimierungen, Geräuschminderungen, Untersuchungen und dergleichen. Die Suche nach aktueller Literatur über tatsächliche Neuherstellung  und Neukonstruktion der Nockenform eines Ventiltriebs nach neuesten Erkenntnissen  bleibt jedoch meist erfolglos. Dies ist um so verwunderlicher, da gerade heutzutage im Zeichen der Energiesparwünsche, der Klimaveränderungen und der Umweltdiskussion, der Gas- und Ladungswechsel an schnell laufenden Verbrennungsmotoren doch besonderen Raum einnehmen sollte.

Die Nockenwelle als Steuerelement des mechanischen Ventiltriebs sozusagen "verantwortlicher Türöffner und Schließer" für das Gas nimmt durch Ihre Nockenform maßgeblichen Einfluss auf die Qualität der Gaswechselvorgänge.

Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde der gesamte Themenkomplex hauptsächlich dem Motortuning, der Leistungssuche und dem Rennsport zugeschrieben. Vieles Fachwissen und viel Erfahrung stammt auch - wie so oft - aus diesem Bereich. Möglicherweise haben Sie schon im Zuge der Erfahrungen, die Sie machen mussten oder durften auf die Antwort nach Fragen gesucht wie:

Hier sollen Sie einige Informationen zur Beantwortung dieser und verwandter Fragen finden, sowie einige Gedanken zur Nockenformgebung..

Fehlerquellen

Für fehlerhafte Ventiltriebe gibt es zahlreiche Fehlerquellen. Die Fehler können sich sowohl in allen Elementen des Ventiltriebes als auch in der eigentlichen Form der Nocke teilweise schwierig auffindbar verbergen. Zwei Nockenformfehlerquellen sollen hier aufgezeigt werden, um eine Vorstellung von deren trickreicher Verborgenheit zu vermitteln. Diese Fehler müssen nicht nur bei der mechanischen Fertigung der Nocken entstehen sondern können bereits bei den theoretischen Überlegungen zur Konstruktion der Nockenform gemacht werden.

Um solche verborgenen Fehlerquellen aufspüren zu können oder zu vermeiden, benötigt man einschlägige Kriterien zur Beurteilung der Nockenform.

Beurteilung der Nockenform

Sicherlich haben Sie sich schon einige Gedanken über die Beurteilung und Qualität der einzelnen Bauteile eines Motors gemacht und Sie sind möglicherweise zu umfangreichen Feststellungen in der Lage. Sie können beispielsweise die Zylinder auf Rauhigkeit und Konizität oder die Kurbelzapfen auf Rundheit und Versatz prüfen. Sie können mehr oder weniger problemlos die Dichtheit der Ventile feststellen. Der Honwinkel der Zylinder oder die Härte eines Hubzapfens kann gemessen werden. Durchflussmessungen auf der "Flowbench" erlauben eine Aussage über die Qualität der Strömungen. Für jedes Bauteil gibt es einschlägige Kriterien.

Wie aber sieht es mit der Nockenwelle aus?

Die systematische Betreibung der "Try and Error" Methode ist unsicher, langwierig und vor allem teuer.

Wie aber ist eine präzise Beurteilung der Nockenwelle und des Ventiltriebs möglich?

Diese und ähnliche Fragen können mit dem Computerprogramm "KnockSoft" mathematisch fundiert gelöst werden.

Analysemöglichkeiten

Zur Beurteilung eines existierenden Ventiltriebs haben wir eine sehr schöne, schnelle, exakte und anschauliche zeichnerische Methode entwickelt, mit der sich unter anderem auch die vorherrschenden Kräfte bestimmen lassen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Ventilerhebungskurve Punkt für Punkt zu erfassen und die interessierenden Werte zu berechnen durch Bildung der Integrale und Ableitungen. Diese Möglichkeit ist zwar aufwendiger, besitzt aber den Vorteil, bereits bestehende Nockenformen mit neu berechneten Nockenformen vergleichen zu können.

Existierende Lösungsansätze

Erste dokumentierte Lösungsansätze zu den angedeuteten Problemen sind in den fünfziger Jahren durch Dr. Bensinger und seinen Mathematiker Dipl. Ing. Kurz entstanden. Der interessierte Leser wird nach dem empfehlenswerten Studium der einschlägigen Werke feststellen:

Die mathematischen Ansätze sind komplex. Die Denkansätze haben grundsätzlich und zusammenfassend gesagt folgendes Schema: Ausgangspunkt der Betrachtungen ist ein rein geometrisches Gebilde, die Nocke. Diese besteht aus verschiedenen Teilstücken geometrischer Funktionen. Ein "Grundkreis" geht über in einen so genannten "Gipfelkreis" und dieser wiederum zurück in den "Grundkreis". Der Übergang der Kreise ineinander wird in einem mathematischen Verfahren unter Zuhilfenahme von Sinusfunktionen gelöst. Ziel der Überlegungen ist es unerwünschte Beschleunigungsspitzen, also sehr kurzzeitig wirkende Überschreitungen der zulässigen Kräfte zu vermeiden.

In der Hauptsache bleibt festzuhalten: Die Denkrichtung geht vom mittels geometrischer Funktionen beschriebenen Gebilde (Nockenwelle) in Richtung Funktionselement (Ventil).

Neue Lösungsansätze

Versucht man die Problemstellung der Idealformfindung für eine Nockenwelle von Grund auf neu zu überdenken und zu formulieren, so kann man bei möglichst unbefangener Betrachtungsweise zu ganz anderen Denkansätzen kommen, wenn man die traditionelle Denkrichtung umkehrt. Die Überlegungen bauen am Funktionselement (Ventil) auf und gehen dann in Richtung eines Mechanismus der mit dem Funktionselement entsprechendes bewirkt.

Vorausgesetzt, es gibt so etwas wie eine optimale Bewegung des Ventils, dann wäre es doch wünschenswert, diese Bewegung zu beschreiben (durch die Ventilerhebungskurve) und einen wie auch immer gearteten Mechanismus zu schaffen, der diese optimale Bewegung letztendlich erzeugt. Soll dieser Mechanismus eine Nocke beinhalten, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die Aneinanderreihung abschnittsweise beschreibender Teilstücke der analytischen Geometrie ausgerechnet die Bahn der Nocke beschreibt, die dann letztendlich diese optimale Ventilbewegung erzeugen soll. Vielmehr wird vermutlich die Nocke durch eine frei geformte Bahn beschrieben werden, und eben gerade nicht durch analytische Funktionen.

Das Programm "KnockSoft" berechnet diese Bahn.

Einflüsse der Ventilerhebungskurven auf die Motorcharakteristik

Die Motorcharakteristik wird hauptsächlich durch die Drehmoment- und Leistungsdiagramme und die Kennfelder beschrieben. In der Praxis spüren wir die Motorcharakteristik durch den "Schub" oder die "Kraft" in den verschiedenen Drehzahlbereichen und Betriebszuständen. Als wünschenswerte Charakteristik erwartet man beispielsweise einen guten Antritt ohne "Beschleunigungslöcher" schon aus niedrigen Drehzahlen, freies "giftiges" Ausdrehen in hohen Drehzahlen, Beschleunigung "wie am Gummiband" - also möglichst konstantes Drehmoment über den ganzen Drehzahlbereich.

Über die zu erwartende Charakteristik kann man anhand von Ventilerhebungskurven umfangreiche Aussagen treffen. Diagramm Erh 1.1 zeigt einen Vergleich zweier Steuerdiagramme. Ein Motor, der mit dem Steuerdiagramm mit geringerem Hub eine zufrieden stellende Charakteristik zeigt, wird auch mit den Erhebungskurven mit größerem Hub eine ähnliche Charakteristik aufweisen. Er wird also keinesfalls sein Leerlaufverhalten ändern oder etwa die gefürchteten spürbaren Leistungslöcher haben. Drehmoment- und Leistungsmaxima werden bei den gleichen Drehzahlen liegen. Die Reaktion beider Motoren auf Änderungen von für die Abstimmung maßgeblichen Komponenten wird bei beiden fast gleich sein. Beispielsweise wird die Montage eines Auspuffrohres mit größerer Länge bei beiden Motoren den Drehmomentverlauf bei beiden Motoren qualitativ in gleicher Weise mit dem Maximum nach unten verschieben. Bedingung für die beschriebenen Auswirkungen ist jedoch: Die Steuerung des Gaswechsels durch die Nockenwelle beginnt und endet wie hier gezeigt zu (annähernd) den gleichen Zeitpunkten.

Im oberen Drehzahlbereich wird mit diesen Ventilerhebungskurven jedoch mehr Leistung zur Verfügung stehen, da bei gleichen Querschnitten die entsprechende Strömungsgeschwindigkeit erst bei entsprechend höheren Drehzahlen erreicht wird und der Durchflusswiderstand bei höheren Drehzahlen sinkt. Bei niederen bis mittleren Drehzahlen sind schlechtere Abgaswerte und eine minimal schlechtere Leistung im Volllastbereich auf Grund der schlechteren Verwirbelung des einströmenden Gasgemisches zu erwarten. Andererseits wird der Ventiltrieb bei niederen Drehzahlen natürlich höher belastet, sodass die zulässigen Werte unbedingt einer rechnerischen Überprüfung bedürfen.

 

Vergleich "KnockSoft"- berechnete mit konventionellen Nockenwellen

Vergleich 1

Im folgenden Erhebungskurvendiagramm sieht man den Vergleich zweier Ventilerhebungskurven. Die untere Erhebungskurve haben wir an einem Honda 750 ccm Superbike V4-Rennmotor mit einer so genannten "Werks-Kit-Nockenwelle" Anfang der neunziger Jahre gemessen. Diese Spezialnockenwellen wurden für viel Geld von Honda zum Verkauf angeboten und stellen bereits eine - wenn auch geringe - Verbesserung zum Serienzustand dar.

Ein Motor, in dem diese Nockenwellen verwendet wurden, lief insgesamt zufrieden  stellend, erlitt aber im Rennbetrieb immer wieder rätselhafte Ventilabrisse. Der Ventiltrieb wurde rechnerisch überprüft, für fehlerhaft befunden und mit "KnockSoft" neu berechnet. Ziel war, die Ventilabrisse zu vermeiden, ohne an anderer Stelle Nachteile zu hinnehmen zu müssen. Der maximale Hub wurde in die Neuberechnung übernommen und lediglich die Steuerzeit um 5 Grad KWW verlängert, da von Honda für den beabsichtigten Einsatzzweck doch etwas sehr knapp bemessen.

Der Gewinn an Öffnungsquerschnitt ist sofort ersichtlich. Besonders interessant ist aber :

Hier gibt es nur Gewinn ohne Verlust an anderer Stelle!

Bei der gerechneten Kurve können die Federkräfte von 48 kp auf 29 kp (!) reduziert werden. Dies bedeutet: schwächere Ventilfedern können eingebaut werden mit allen Vorteilen, ohne jegliche Nachteile und ohne jegliche Gefährdung des Ventiltriebs. Das heißt also: weniger Reibung, weniger Verschleiß, mehr Leistung, mehr Lebensdauer, geringere Federbelastung und geringere Gefahr des Ventilfederbruchs mit den hinlänglich bekannten, katastrophalen Folgen.

Bei der Originalnockenwelle fällt weiterhin die "kriechende" Öffnung und Schließung des Ventils negativ auf. Bei 150 Grad KWW ist das Vergleichsventil ca. 0,3 mm geöffnet während das gerechnete noch vollständig geschlossen ist. Eine kriechende Öffnung bedeutet, dass das Ventil bereits den Ventilsitz verlassen hat und den heißen umgebenden Gasen ausgesetzt ist aber keinen nennenswerten Hub hat. Mangels Berührung kann es keine Wärme an den kühlenden Ventilsitzring abgeben, andererseits gibt es dennoch keinerlei nennenswerten Strömungsquerschnitte frei. Das Ventil ist zwar schon minimal geöffnet bzw. bereits fast geschlossen und erleidet somit alle thermodynamischen Nachteile, ohne jedoch nennenswerte strömungsmechanische Wirkung zu erzielen. Ein aus aerodynamischer Sicht geschlossenes und aus thermischer Sicht geöffnetes Ventil - ein unerwünschter Zustand. Das Ventil wird unnötig lange, ohne Wärme an den kühlenden Ventilsitz abgeben zu können, von heißen Gasen umströmt. Das bedeutet heißes Ventil, heiße Brennraumoberfläche, und damit schlechte Zylinderfüllung mit allen damit verbundenen Nachteilen für Verbrauch, Schadstoffemission und Leistung.

Der praktische Renneinsatz hat oben genannte Berechnung bestätigt. Die rätselhaften Ventilabrisse am betreffenden Motor blieben zukünftig aus. Dies ist schnell geschrieben und gelesen. Stellen Sie sich jedoch den Erfolg, die Kosten- und die Arbeitsersparnis vor. Den zusätzlichen Leistungsanstieg haben wir zwar erfreut, aber fast schon eher als willkommene Beigabe konstatiert. Es waren somit enorme Verbesserungen möglich, ohne an anderer Stelle Abstriche hinnehmen zu müssen.

Vergleich 2

Allerdings lässt sich diese Erfahrung nicht verallgemeinern. Deswegen soll hier auch ein anders gelagerter Fall aufgezeigt werden. Die Motoren sind mit Vergleich 1 identisch in Hubraum - 750 cc - und Einsatzzweck - Superbike Rennen. Die Ventilerhebungskurve wurde an einer Yamaha 750 YZF gemessen.

Der Vergleich der beiden Ventilerhebungskurven fällt völlig anders als im 1. Beispiel aus.


Das Diagramm oben zeigt die beiden Kurven. Sie sehen zwar aus wie eine deren rechter Teil etwas fett ausgefallen ist. Aber tatsächlich sind es zwei.
Eine ist das Ergebnis der "KnockSoft" Berechnung. Die andere ist das Ergebnis der Vermessung der existierenden Yamaha Nockenwelle.

Man sollte sich vor Augen halten, dass das Messergebnis der ausgeführten japanischen Yamaha Nockenwelle nicht die tatsächlich von japanischen Ingenieuren errechneten Werte darstellt, sondern die dort errechneten Werte plus die Addition aller Fehler von der Konstruktion der Nockenwelle über deren Fertigung bis zu unserem Messergebnis mit unvermeidlichen Mess- und Ablesefehlern. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen erkennt man bei Betrachtung des Diagramms: Bei gleichen Vorgaben kommen wir zu exakt den gleichen Ergebnissen wie die japanischen Kollegen. Oder mit anderen Worten: Bei gleichen Vorgaben würde unser Programm "KnockSoft" genau die Nockenwelle errechnen, die ohnehin eingebaut ist. Daran ist nichts zu ändern, da Mathematik und Physik diese Zusammenhänge zwangsläufig bestimmen.

Sind dennoch auch hier Verbesserungen möglich?

Antwort: Ja.

Unterschied zwischen Vergleich 1 und Vergleich 2

Sicherlich haben Sie den entscheidenden Unterschied zu Vergleich 1 festgestellt: Bei Vergleich 1 wurden Verbesserungen alleine schon durch richtige Berechnung der Nockenform möglich. Weitere Verbesserungen wären auch dort durch weitere Eingriffe möglich.

Bei Vergleich 2 ist die Nockenform richtig berechnet. Da man richtiger als richtig nicht rechnen kann, sind durch bloße Berechnung einer neuen Nockenform ohne Eingriffe in den Ventiltrieb keine Verbesserungen möglich. Erst weitere Eingriffe wie Ventilerleichterung, Reduzierung bewegter Massen oder Verbesserung der Ventilfedern würden eine weitere Optimierung ermöglichen.

Mögliche Maßnahmen für Motoren gemäß Vergleich 2

Motoren mit richtig berechneten Nockenformen bieten ebenfalls Optimierungsmöglichkeiten. Die Berechnungen für alle Motoren müssen bestimmte Vorgaben erfüllen. Dies können Vorgaben hinsichtlich Lebensdauer, Preis, Verfügbarkeit, Baukastensystem u.v.m. sein. Diese Vorgaben stellen das entscheidende "Schräubchen" dar, an dem man sozusagen mathematisch drehen kann. Ändert man beispielsweise die Konstruktionsvorgabe "maximaler Preis der Ventilfedern" auf Preis mal 2, so ergeben sich mit einer potentiell verbesserten Feder wieder ganz neue Perspektiven für die Berechnung.

Zusammenfassung

Eminent wichtig ist die völlige Beherrschung der theoretischen Zusammenhänge, um unnötige Risiken oder Verluste zu vermeiden, die Anzahl von Prüfstandsversuchen zu verringern und diese Versuche auf ein solides Fundament zustellen. Für optimal ausgelegte Motoren bedeutet die Änderung von Parametern wie Ventilgewicht (z.B. durch Erleichterung) oder maximale Drehzahl (z.B. durch Verwendung eines anderen Chips) zwangsläufig immer auch die Änderung der Nockenform, wenn das Triebwerk mit optimal abgestimmtem Ventiltrieb laufen soll.